Von Größenwahn und Heilungschancen

„Abschied vom Größenwahn“

Von Ute Scheub und Christian Küttner, Oekom-Verlag 2020

„Der Mensch ist klein, und daher ist klein schön. Wer auf Riesenhaftigkeit setzt, der setzt auf Selbstzerstörung.“ Mit diesem Zitat von E.F. Schumacher beginnen Ute Scheub und Christian Küttner ihre Parforceritt durch die Geschichte der Menschheit, beginnend mit einem Blick in die Evolution, um daraus abzuleiten, dass wir in den letzten 200 Jahren das menschliche Maß der Entwicklung verloren haben und wie wir es wiederfinden können.

„Unsere einzigartige Erde hat in mehr als 100 Millionen Jahren unglaubliche Vielfalt entwickelt. Menschlicher Größenwahn hat vieles davon zerstört. Es war einer der größten Fehler in der Menschheitsgeschichte, die Natur beherrschen zu wollen. Dadurch entstand die »große Trennung«, die die Menschen von der Natur und die Menschen untereinander separierte.“ Das ist der Startpunkt, von dem aus die beiden Autoren, die in den letzten 20 Jahren bürgerschaftliche Beteiligung in ihrem Zehlendorfer Wohnquartier, der Papageiensiedlung, praktizieren, von dem aus sie einmal um die Welt reisen, um gute Beispiele eines menschlichen Maßes zu suchen.

Ute Scheub hat in den letzten Jahren eine Reihe wertvoller Fachbücher zur ökologischen Landwirtschaft, zur Glücksökonomie und direkter Demokratie veröffentlicht. Christian Küttner organisiert seit Jahren mit der BI Zehlendorfer Mitte eine „Planung von unten“. Sie schreiben also nicht nur, was anders und besser sein könnte, sie versuchen es auch zu leben. Ute ist seit über 40 Jahren Journalistin und weiß, dass man das Geschriebene zusammenfassen und zuspitzen muss, damit es haften bleibt. So endet das Buch mit klugen Merksätzen und einem Resümee als kleines ABC und als Optimisma-Vision. Abgerundet wird das Buch durch mehrere Visionen bis zum Jahr 2055 (dann wird Utes Sohn gerade mal 60 sein). Es gibt viele solcher Visionen und sie sind notwendiger denn je.

„Epidemien, Klimakrise und Artensterben sind, so riesig jedes dieser Probleme bereits allein betrachtet auch ist, nur Symptome der Trennung von Mensch und Natur. Betonierte Städte beginnen sich zu überhitzen. Überwärmte Meere und begradigte Flüsse treten irgendwann über die Ufer. Pestizidbesprühte Pflanzen und Insekten sterben aus. Billiarden winziger Lebewesen, die das lebendige Ökosystem unseres Planeten bilden, bringen zum Ausdruck, dass sie die Belastungen nicht mehr ertragen.“

„Dieses Buch war bereits fertig geschrieben, als sich Anfang 2020 die Corona-Pandemie über den Globus zu wälzen begann. Es war, als wollte das Virus der Menschheit demonstrieren: Seht her, was ich anrichten kann, wenn ich mich genauso exponentiell vermehre wie euer Wirtschaftswachstum und euer Energie- und Ressourcenverbrauch.“

„Die größenwahnsinnige Art der Globalisierung führt zu immer neuen Krisen und Katastrophen. »Vielleicht haben wir zu lange geglaubt, dass wir unverwundbar sind, dass es immer nur schneller, höher, weiter geht. Aber das war ein Irrtum«, formulierte Bundespräsident Walter Steinmeier in seiner Osteransprache 2020. Um den großen Problemen dieser Zeit zu begegnen, bedarf es eines radikalen Umdenkens vom herrschenden Größenwahn.“

Diese Suche ist wie Gartenarbeit schreibt Ute: Wenn wir erst einmal anfangen umzugraben und dabei die unglaubliche Vielfalt des Lebens in jedem Quadratmeter Muttererde entdecken, dann begreifen wir, wie im Kleinen das Große möglich wird. Sie hat ein Fachbuch über Terra Preta geschrieben und weiß, wovon sie redet, auch wenn ihr eigener Garten nur 120 m² groß ist.

Das Buch lädt ein, sich mit Philosophie zu befassen und Nationalökonomie, mit Biologie und Stadtplanung. Ganz selbstverständlich nimmt der große Stadtplaner Gehl und sein Buch vom menschlichen Maß in der Stadtplanung einen exponierten Raum ein und man fragt sich wieder einmal, warum haben wir das nicht früher gesehen? Es ist nicht das erste Buch, das all diese Fragen aufwirft, aber es fasst die Debatte gut zusammen und legt großen Wert auf eine saubere, positive und wertschätzende Sprache. Die Autoren schlagen vor, nicht mehr von Umwelt sondern von Mitwelt zu sprechen. Eine zu bewegende Idee.

Ebenso der Vorschlag, von Optimisma zu sprechen, einer Lebensauffassung, in der ich alles mit weiblichem Mut von der besten Seite betrachte; sie bezeichnet eine heitere, zuversichtliche und lebensbejahende Grundhaltung, wonach in unserer Welt sich vieles zum Besseren entwickelt. «Optimisma soll also nicht heißen, dass alles gut wird – das wissen wir nicht. Optimisma soll nicht heißen, dass Frauen jetzt mal schnell den Dreck wegmachen, den Männer in den letzten 200 Jahren hinterlassen haben, oder dass Frauen »gut« und Männer »böse« seien. Der Begriff »Optimisma« soll alle Menschen ermuntern, stärker ihre weiblich-fürsorgliche Seite zu entwickeln und zu leben. Frau Scheub hat über „Heldendämmerung“ promoviert, in diesem Begriff findet der Abschied vom Männlichkeitswahn seine Fortsetzung.

Menschen lieben Geschichten, hier ist eine wirklich lesenswerte, meint Peter Schrage-Aden (von 1990 bis 2015 Mitarbeiter im Mitweltamt Steglitz-Zehlendorf).

Der Aktionskreis Energie hat die Autoren zu einer Lesung am 8.12.2020 in die alte Feuerwache Zehlendorf eingeladen. Siehe https://aktionskreis-energie.de/events/groessenwahn/