Bei unserem Neujahrsempfang war die Welt noch in der alten Ordnung. Hans-Josef Fell hat in seinem Festvortrag – vielleicht etwas zu plakativ – auf die dramatischen Entwicklungen der Klimakrise hingewiesen und drastische Forderungen formuliert. Manch einer war betroffen und wurde tiefer berührt von der Botschaft des alten weisen Mannes: „Wir sind nicht auf dem richtigen Weg“. Er konfrontierte uns mit unmittelbarer Handlungsnotwendigkeit. Das war an der Atmosphäre im weiteren Verlauf des Abends spürbar. Bei mir wirkt das immer noch nach.
Unmittelbare Bedrohung durch Corona Epidemie
Kurze Zeit später begann die Berichterstattung zu einem neuartigen Virus in Wuhan. China war aber weit weg und die Nachricht hat uns nicht weiter betroffen. Bis die ersten Fälle außerhalb Chinas bekannt wurden. Zunächst war man erstaunt über die teilweise drastischen Maßnahmen, die die Ausbreitung vor Ort verhindern sollten. Heute wissen wir, dass es zu zögerlich war, nicht entschlossen genug.
Jetzt sind wir am Anfang einer Entwicklung, bei der mit bislang unvorstellbaren Einschränkungen versucht wird, die Überlastung der Gesundheitssysteme weltweit zu verhindern, ohne Rücksicht auf finanzielle Einbußen und die Folgen für das Wirtschaftssystem.
Ursachen angehen statt Folgen bekämpfen und Schäden kompensieren
Mit gigantischem Aufwand wird versucht, die Ausbreitung eines Virus einzudämmen, der seinen Ursprung scheinbar in unzumutbaren Haltungsbedingungen von exotischen Tieren hat. Zur Beseitigung dieser in Tradition und Kultur eingebetteten Zustände ist umfassende Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Unterstützung für alternative Ansätze erforderlich.
Die frühzeitige Intervention und Lösungsunterstützung lässt sich auch auf andere Konfliktherde, Migrationsursachen und auf die vielleicht größte Herausforderung der Menschheit übertragen.
Bedrohungslage durch Klimaerwärmung wird nicht wahrgenommen
„Mit der Klimakrise rollt eine Krise auf die Menschheit zu, die alle noch so schlimmen Folgen der Coronakrise in den Schatten stellen wird. Einige meinen, es sei jetzt der falsche Zeitpunkt, um über die Klimakrise zu debattieren. Doch es gibt viele Parallelen zur Coronakrise. Handeln wir zu spät oder zu zaghaft, werden die Folgen der Klimakrise fatal sein. Genauso wie die Coronakrise wird die Klimakrise schon bald eine eigene Dynamik entwickeln, die nur noch schwer zu kontrollieren sein wird und am Ende nicht nur einzelne Leben, sondern das Überleben der Menschheit insgesamt bedroht.“ Volker Quaschning
Unerwartete Nebeneffekte
Der erzwungene Shutdown zeigt jedoch auch unerwartete Nebeneffekte – Entlastung, Entschleunigung, Freiräume, Alternativen, neue Perspektiven.
Die drastischen Einschränkungen in allen Lebensbereichen führen neben Leid und Verunsicherung auch zu einer erfreulichen Verbesserung der Umweltbedingungen, mehr Ruhe, sauberer Luft und einer erheblichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Dies bringt uns dem erforderlichen Ziel von Paris, einer Temperaturerhöhung unterhalb von 1,5° C, wieder näher.
Ohne Corona wären schon moderatere Maßnahmen zum Klimaschutz undenkbar, unvorstellbar, unzumutbar, unkalkulierbar gewesen. Doch jetzt tun sich neue Dimensionen von Kapitalverfügbarkeit und Handlungsbereitschaft auf.
Besinnung auf das Wesentliche
Lassen Sie uns in der bevorstehenden Zeit der verordneten Einkehr die wesentlichen Dinge herauskristallisieren, auf die es wirklich ankommt, die wir wirklich brauchen. Dabei kann sich herausstellen, dass wir auf Vieles verzichten können, was wir bislang für unentbehrlich hielten.
Unser oft unbefriedigtes Konsumleben kann durch ein selbstgesteuertes und wenig umweltbelastendes Leben sogar bereichert werden. Die individuelle Beantwortung von einfachen Fragen kann zur Orientierung dienen: Was brauche ich? Was macht mir Freude? Was ist mir wichtig?
Wir müssen jetzt Wege finden, einen maßvollen Wohlstand mit dem Schutz der Umwelt und Erhaltung der Artenvielfalt zu versöhnen. Wir müssen Verantwortung für unseren Lebensraum übernehmen und alles dafür tun, unseren nachfolgenden Generationen intakte Umweltbedingungen zu hinterlassen!
Grundlegende Veränderung des Marktgeschehens erforderlich
Die gegenwärtige Situation ist ein dramatischer Stresstest für die internationale Vernetzung und unser globales Wirtschaftssystem.
Jetzt, wo sich andeutet, dass unser auf ungezügeltem Konsum und gedankenloser Ressourcenverschwendung basierendes Wirtschaftssystem aus den Fugen gerät, wird mit Unmengen von Geld versucht, dieses fragwürdige Konstrukt am Laufen zu halten, das offensichtlich durch rücksichtslosen Raubbau und schonungslose Umweltzerstörung unsere Existenzgrundlage gefährdet.
Es ist naheliegend, dass wir grundlegende Veränderungen und Anpassungen brauchen. Die Komplexität der Globalisierung muss entzerrt und nachhaltiges Gemeinwohl über egoistischen Interessen stehen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen für die Zeit der auferlegten Einkehr eine geeignete Lektüre empfehlen: Marktwirtschaft reparieren, Autor: Andreas Siemoneit
Corona als Chance begreifen
Also lassen Sie uns bei aller Dramatik der Situation die Chance zu nutzen und gemeinsam überlegen, wie wir die freigegebenen Finanzmittel und Unterstützungsmaßnahmen zielgerichtet für eine Transformation zur Nachhaltigkeit einsetzen können. Wie wir eine sichere Versorgung mit lokalen Strukturen, regenerativer Energiegewinnung, nachhaltigem Bauen, regionaler Autarkie und ökologischer Landwirtschaft aufbauen können, damit wir die Weichen für eine lebenswerte Zukunft rechtzeitig umstellen können und für kommende Krisen gewappnet sind.
Im zielgerichteten Neuanfang nach Corona liegt vielleicht die Chance des neuen Jahrzehnts.
Handlungsnotwendigkeit umsetzen
Dafür müssen zunächst die politischen Weichen gestellt:
und erforderliche Programme umgesetzt werden:
Corona als Chance zur Systemveränderung
Wie gehen wir also mit der aktuellen Situation des weltweiten Stillstandes um? Angststarre, abwartendes Verharren, Wehmut, Klammern an bestehenden Verhältnisse – oder keimen schon die Ideen und kreativen Ansätze für alternative Wege und notwendige Veränderungen?
Nutzen wir unsere Möglichkeiten, durch bewusstes Konsumverhalten und Engagement, die Gesellschaft, Politik und Industrie auf einen nachhaltigeren Kurs zu bringen?
Jetzt im Krisenmodus ist jeder einzelne gefordert, besonnen und verantwortungsbewusst auf die Situation zu reagieren. Jetzt ist es möglich und notwendig, sich von untauglichen Vorstellungen zu lösen, alternative Ansätze zu wagen und neue Wege zu gehen.
Georg Schmid