Der Energieberater im heutigen Spannungsfeld der Energiewende und dem Klimawandel!

Ich bin Energieberater! Das dachte ich jedenfalls bisher, denn heute ist doch alles so anders!

Früher war die Energieberatung eine Konstante. Ich war der Fachmann auf meinem Gebiet,
dem Gebiet der Energieberatung. Die Hackordnung auf allen Ebenen war mehr oder weniger
klar geregelt und strukturiert. Mein Wort hatte Gewicht. Nach getaner Arbeit gab es, auf
Grund der klaren Struktur im Energiemarkt, nur selten Nachfragen zu Details oder
Hintergründen. Begriffe wie Nachhaltigkeit, Klimawandel, Erderwärmung, Redispatch 2.0,
Dekarbonisierung oder Global Warming Potential waren noch nicht bekannt oder erfunden.
Die Aufgabe des Energieberaters war klar strukturiert. Der beratende Kunde bekam meist
standardisierte und altbewährte Lösungen. Die Auswahl war in allen Bereichen übersichtlich
und die relevanten Konstanten waren die Wirtschaftlichkeit (was kostet mich das) und der
Aufwand (wie lange dauert das). Die Gesetzes- und Förderlandschaft zu der Zeit noch
übersichtlich und klar gegliedert.
Ach du alte heile Welt!

Und heute!

Heute findet sich der Energieberater in einem Kontext zwischen „guten“ und „schlechten“
Energien, höchst komplexen technischen Systemen auf allen Gebieten, einer immer weiter
fortschreitenden Vernetzung, hochkomplexer politischer Vorgaben und einem
gesellschaftlichen Anspruch nach absoluter Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit.

Gab es früher bei der Wahl der Energieträger vornehmlich Heizöl oder Erdgas, dann
irgendwann noch der Zusatz, EnEV sei Dank, die Solarthermie oder Photovoltaikanlage. So
gibt es inzwischen ein breiteres Spektrum des Energieträgers oder auch eine Kombination
verschiedener Energieträger. Bei der Wärmeerzeugung hört die Komplexität dann nicht auf.
Erdgasheizung, Erdölheizung (wenn auch inzwischen verpönt, aber das ist ein anderes
Thema), Wärmepumpe, Holzheizung, ein Mini BHKW und Brennstoffzelle. Oder auch eine
Kombination aus diesem bunten Straus von Wärmeerzeugern. Die Heizung ist heute auch
nicht mehr nur eine Anlage zur Erzeugung von Wärme und Warmwasser. Eine Heizung ist
heute eine hoch technisierte und vernetzte Einheit, die auch über das Smartphone geregelt
werden kann und sich dort in bester Gesellschaft mit Alexa und dem Kühlschrank befindet.
Smart möglichst überall, wo irgendetwas geschaltet oder geregelt werden kann. Ungeahnte
Möglichkeiten für das Monitoring des eigenen Energieverbrauchs. Treibt man es auf die
Spitze, ist die Heizung sogar das neue Auto, nämlich Statussymbol. Ich stelle mir das gut in
einem Elterngespräch beim Abholen der Kinder aus dem Kindergarten vor. „Wir haben uns
ein Haus gekauft“ – „Ja toll. Was habt ihr für eine Heizung gewählt? … also wir haben das so
und so gemacht, dass ist super nachhaltig“.

Bleiben wir noch kurz bei der Heizung. Die aktuellen Klimaziele verbieten es ja eigentlich
fossile Brennstoffe einzusetzen. Wenn man aber glaubt, dass dieser Umstand einfach zu
bewerten ist, der täuscht sich. Wie umweltfreundlich ist beispielsweise ein BHKW? Ist es erst
umweltfreundlich, wenn es mit 100% Öko Gas oder Wasserstoff betrieben wird? Aber woher
kommt das Öko Gas? Vielleicht aus Biogasanlagen die Ihren Rohstoff über die Verdrängung
von Nahrungsmitteln generieren? Woher kommt der Wasserstoff? Auch wenn die Produktion
aus Wind und Sonne erfolgt und die sind ja unendlich verfügbar, so hat man doch immense
Verluste bei der Umwandlung. Bilanziere ich also das CO2 bei der Herstellung von
Windkraftanlagen und Photovoltaikanlagen mit ein, so verschlechtert sich die Klimabilanz.
Betrachte ich das Thema also mit oder ohne Vor Kette? Mit oder ohne Transport? Mit oder
ohne Verdrängung von Flächen und mit oder ohne Verluste? Also alles eine Frage der
Sichtweise?

Bringe ich nun die von allen Seiten als Heilsbringer propagierte Wärmepumpe ins Spiel, wird
es nicht einfacher. Das sei kurz erklärt. Die Wärmepumpe hat dann den größten
Energiebedarf, wenn es kalt ist, also im Winter. Im Winter bringen die regenerativen
Energien aber den geringsten Input in das Stromnetz. Zwar wird überall ein hoher Anteil bei
der Produktion von regenerativen Energien genannt, handelt es sich hier aber nur um
Durchschnittswerte, die über das Jahr gemittelt werden. So ist es auch mit dem CO2-Faktor
des deutschen Strommix. Das bedeutet Schluss endlich, dass im Winter die Kohlekraftwerke
stärker ausgelastet sind als im Sommer. Somit ist im Winter der Anteil am
Wärmepumpenstrom aus Kohle sehr viel höher. Ist das nachhaltig und umweltfreundlich,
wenn wir die Wärmepumpe bilanziell doch stärker durch Kohlestrom betreiben?
Was empfehlen wir also unseren Kunden?

Ein weiteres schönes Beispiel ist die Photovoltaikanlage. Wo früher einfach die Module und
der Wechselrichter montiert wurden und der gesamte Strom, auf Grund der hohen
Vergütung, in das Stromnetz eingespeist wurde, wird es heute sehr komplex. Das fängt mit
der Frage -Netzeinspeisung oder den Strom lieber selbst verbrauchen- an? Und wenn der
Strom selbstverbraucht wird, dann mit Batteriespeicher oder ohne? Wie hoch soll der
Autarkiegrad sein? Oder vielleicht den überschüssigen Strom in eine Cloud speichern und
dann später verbrauchen? Das ist alles nicht das Richtige, dann doch lieber das „Power to
heat“ um aus dem überschüssigen Strom der Photovoltaikanlage Warmwasser zu
erzeugen? Fehlt noch die mögliche Kombination mit der Wärmepumpe, die kann ja dann
auch mit dem PV-Strom betrieben werden. Gar nicht so einfach eine Entscheidung zu
treffen. Und wir haben hier noch nicht einmal über die eigene Tankstelle für das künftige
Elektrofahrzeug, dass dann vielleicht schon bidirektional laden kann oder über den
Regelenergiemarkt gesprochen!

Nehmen wir auch noch die Energiepreise. Hier mal einige Stichpunkte zu diesem Thema.
Energiepreis, Börsenpreisentwicklung, CO2-Preis, Netzentgelte, Konzessionsabgabe, EEGUmlage,
§19 NEV-Umlage, SLP, RLM usw. Ein Thema welches an Komplexität
wahrscheinlich nur schwer zu übertreffen ist. Nun kommt noch die Unsicherheit künftiger
Entwicklungen dazu. Beispielsweise der CO2-Preis. Eigentlich über das Jahr 2026
festgeschrieben. Eigentlich! Vertrauen Sie dieser Festlegung, dieser Aussage? Und was wird
künftig aus der EEG-Umlage, was mit der geplanten Netzentgeltangleichung und bleiben die
Privilegien aus dem StromStG, dem EnergieStG und dem EEG für die Industrie erhalten?
Unsicherheiten die Entscheidungen zum Thema Energieeffizienz und Nachhaltigkeit jetzt
schon beeinflussen. Bleibt das Verhältnis des günstigen Erdgaspreis zum teureren
Strompreis bestehen? Halbiert sich künftig der Strompreis und macht damit den
Selbstverbrauch des eigenerzeugten Stroms wieder unattraktiv? Und auch hier wieder die
Frage, wie gehe ich als Energieberater damit um?

Bekam der Energieberater von den Entscheidern in den Unternehmen oder Häuslebauern
früher wenig Gegenwehr für die Vorschläge und Strategien des Energieberaters, zeichnet
sich heute ein gänzlich anderes Bild. Heute sind die Entscheider in den Unternehmen oder
im Eigenheim, dank auch der Omnipräsenz in Medien und Politik, selbst vielmehr mit den
Thema Energie und Nachhaltigkeit verbunden und selbst auch einem höheren
Spannungsfeld ausgesetzt. Aber nicht nur im Berufsleben sondern auch im Privaten.
Spätestens seit „Friday for Future“ müssen sich viele Entscheider auch zuhause bei ihren
Kindern erklären. Nicht selten, dass hier auch die Grundlagen unternehmerischer
Entscheidungen gesetzt oder zumindest beeinflusst werden.

Aber auch in der eigenen Branche weht der Wind rauer. Mal findet man kollektive
Unsicherheit bei der Auslegung neuer Gesetze und Vorgaben die zu noch mehr
Durcheinander im eigenen Kopf führen. Mal trifft einem das wahrscheinlich gutgemeinte
Urteil der Kollegen mit der vollen Härte der Ablehnung. Nehmen wir einmal die Biogasanlage
als ökologische Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen. Gutgemeint, aber
schlecht umgesetzt? Oder Holz als Energieträger. Auch ein nachwachsender Rohstoff der,
nehmen wir mal die Herstellung und den Transport aus der Bilanz, klimaneutral ist. Das
scheint auf den ersten Blick nicht klar, da ja auch Holz bei der Verbrennung CO2-Emittiert.
Also so wie auch Gas oder Heizöl. Gut, Holz emittiert nur so viel CO2 wie es beim Wachstum
aufgenommen hat. Aber ist das bei Gas und Heizöl nicht auch so! Es erschließt sich
eigentlich erst, wenn der zeitliche Aspekt mit in die Argumentation aufgenommen wird. Es ist
eben schon einige Millionen Jahre her, dass das CO2 im Gas und Heizöl gebunden wurde.
Aber es geht mir eigentlich hier nicht um das CO2, sondern um die Ressource. Wie viel
Holzverbrennung verträgt denn unser Planet. Wo kommt das Holz her und zu welchen
Bedingungen. Das ist hier wohl die entscheidende Frage. Und inwieweit kann ich mich hier
auf die Aussagen der Holzindustrie verlassen. Als Energieberater bin ich hier wieder in
einem Spannungsfeld bei dem ich nicht nur die mögliche Heizung betrachten muss, sondern
eine teilweise komplexe Gemengelage um Herstellung und Transport des Energieträgers.

Zurück zum CO2. Wahrscheinlich die künftige Einheit um die sich alles beim Thema Energie,
Umwelt und Nachhaltigkeit drehen wird. Seit einiger Zeit bereits im Großen praktiziert,
bekommt CO2 nun auch für den Normalbürger ein Preisschild und das ist auch gut so. Aber
was bedeutet das für uns Energieberater? Bisher bestand unser Benchmark aus Primär-,
End- oder Nutzenergie. Nun noch das CO2. Künftig müssen also neben der Wirtschaftlichkeit
und der energetischen Bilanzierung auch die ökologische Bilanzierung erfolgen. Eben der
ökologische Fußabdruck. Wer im Unternehmensbereich tätig ist, der wird seine Kunden
demnach künftig wohl auch zum Thema Klima beraten und vielleicht auch begleiten dürfen.
Auch hier wieder eine hohe Komplexität, gepaart mit der Individualität der jeweiligen
Unternehmen oder Kunden.

Kommen wir mal zum Ende. Die Überschrift dieses Blogartikels heißt ja „Der Energieberater
im heutigen Spannungsfeld der Energiewende und dem Klimawandel“ und soll die
Komplexität in dem Arbeitsfeld des Energieberaters etwas beleuchten. Vielleicht findet sich
der eine oder andere Energieberater hier ja zumindest in Teilen wieder.

Ich hoffe ich konnte allen „Nicht-Energieberatern“ die Komplexität dieses Themas etwas
näherbringen und Sie für eine höhere Wertschätzung gegenüber ihrem Energieberater
sensibilisieren.

Allen Energieberatern soll dieser Artikel Motivation sein, denn es gibt keine Alternative als
sich der heutigen und zukünftigen Komplexität anzunehmen.
Bleiben Sie gesund und optimistisch.

René Mertens
2. Vorsitzender des Aktionskreis Energie

Hinweise: Der Blog Artikel soll nicht als Kritik an Energieberater, Entscheider oder der Politik verstanden werden,
sondern zeigt ein individuelles Bild des Verfassers. Weiter sind alle im Text verwendeten Formulierungen als
geschlechtsneutral zu verstehen.