Initiative startet (wirklich?) „absurde“ Petition
Sehr geehrter Herr Boldt, geschätztes Checkpoint-Team,
leider bleibt Ihr Beitrag vom 15.3.2024 im Tagesspiegel auf dem Niveau einer oberflächlich-unreflektierten Stimmungsmache und es unterbleibt eine ernste Auseinandersetzung mit den volkswirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen eines Fernwärmeankauf für 1,4 Mrd €.
Die behauptete „Absurdität“ der Petition wird nicht erklärt und auch nicht auf das ernste Anliegen der Petenten eingegangen.
Hier wäre es im Sinne eines verantwortungsvollen Journalismus hilfreich gewesen, sich über die Hintergründe zu informieren und zumindest auf die Zweifel an der Sozialverträglichkeit und Dekarbonisierbarkeit von Fernwärme hinzuweisen, insbesondere weil die Fernwärme politisch immer noch als Lösung der Wärmewende postuliert wird.
Um es anschaulich zu machen:
Wieviel Geld sollte man für einen S-Klasse-Mercedes ausgeben, der enorm Treibstoff verbraucht, keinen Katalysator hat und an Karosserie und Fahrwerk erheblichen Reparaturbedarf hat?
An jeder Schrottpresse kann man beobachten, wie durchaus noch fahrbereite PKW entsorgt werden, weil der Aufwand der Ertüchtigung in keiner vernünftigen Relation zu einem Neukauf eines zeitgemäßen Elektro-Fahrzeugs steht.
Diese Überlegung scheint bei der Unternehmensbewertung ausgeblendet oder ungenügend bewertet, allerdings sind die Hintergrundinformationen, geschweige denn eine belastbare Due Diligence, nicht öffentlich. (Es gibt allerdings Hinweise, dass solche Bewertungen potenzieller Bieter eher auf 5-stellige Summen kamen und selbst bei solchem Kaufpreis aufgrund des Folgeinvestitionsrisikos kein Interesse auslösten).
Was man wissen muss:
- Die Netzverluste der Fernwärme aufgrund ihrer hohen Temperaturen und schlecht gedämmten Rohre würden allein ca. 8 Geothermieanlagen der Größenordnung von Freiham benötigen, die seit 2016 12 MW bei 90°C Wärme aus 2.500 m Tiefe liefert.
Ob Berlin diese Geothermiepotenziale (allein für die Netzverlustkompensation) überhaupt hat, ist ungeklärt und deren Errichtung und Betrieb wären hinsichtlich der Kosten allein für den Netzbetrieb zusätzlich zum Wärmepreis zu entrichten. - Die Dekarbonisierung mit stoffgebundenen Energieträgern (Wasserstoff, Biomasse) wird inzwischen in der Fachwelt wegen mangelnder Verfügbarkeit und hoher Kosten als kein gangbarer Weg angesehen.
- Die Versorgung mit Erneuerbare-Energien-Anlagen basiert alternativ auf Wärmepumpen – deren Kosten skalieren (anders als Verbrennungsanlagen) mit ihrer Leistung und Wärmemenge und sie benötigen verstärkte Stromnetze und (dezentrale) Ab- und Umweltwärmequellen.
Der Umweg über („Groß-“)Wärmepumpen mehr als 90° für Fernwärmenetze bereit zu stellen und dann im Gebäude wieder runterzumischen, führt fast zu einer Verdopplung der Betriebskosten, wenn nicht gerade ausnahmsweise Abwärme zur Verfügung steht. - Zusätzlich muss auch noch die Finanzierung des Kaufpreises umgelegt werden.
Schon allein in der Folge der vorgenannten Sachverhalte muss es zu enormen Kostensteigerungen kommen, die sozial nicht vertretbar, und dann durch Subventionen und „Preisdeckel“ von der Allgemeinheit zu tragen sein werden.
Bereits ohne die genannten Investitionen haben sich laut Tagesspiegel vom 16.3.24 die Fernwärmepreise in den letzten 3 Jahren verdreifacht und es gibt große Wohnungsunternehmen, die inzwischen aus sozialer Verantwortung Anstrengungen unternehmen, sich von der Fernwärme abzukoppeln.
Inzwischen dämmert diese Erkenntnis offensichtlich auch den politischen Entscheidungsträgern, denn es ist eine Verlagerung der Argumentation dahingehend zu bemerken, dass die Rekommunalisierung verhindern soll, dass gewinnorientierte Unternehmen die Monopolstellung der Fernwärme ausnützen.
Allerdings sind die Erfahrungen mit Rekommunalisierung, z.B. in Bezug auf die Wasserpreise, nicht sehr ermutigend.
Weshalb es unter diesen Aspekten absurd sein soll bei der Wertermittlung für eine vermutlich längst abgeschriebene Infrastruktur auf „1 Euro“ zu kommen, bleiben Sie leider argumentativ schuldig.
Um nicht weiter aufgeheizte Stimmungsmache zu bedienen, sondern Akzeptanz zu steigern, liegt es auch in der Verantwortung der Medien, die Debatte zu versachlichen und einen Weg für eine sozialverträgliche Energiewende mit Partizipationsmöglichkeiten für jeden Bürger aufzuzeigen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Viernickel
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