H2-ready verspricht uns den sanften und kostengünstigen Übergang in das erneuerbare Zeitalter. Also: den geliebten Gaskessel behalten und irgendwann mit einem sicherlich preiswerten Montageset auf H2, den Wasserstoffbetrieb, umrüsten. Dann fehlt nur noch der Vertrag mit einem grünen Wasserstoffpartner. Fertig!
Aber kann dieses Versprechen eingelöst werden? Schauen wir uns zunächst einmal näher an, warum uns die Gasversorgung so ans Herz gewachsen ist, diesen imposanten Siegeszug, der uns viele Annehmlichkeiten brachte. Meine ganz persönliche Beschreibung geht so: in meiner ersten Wohngemeinschaft in den 1970ern ersetzte eine Gasetagenheizung das rußende Ölofen Monster – ein Genuss für uns! In der zweiten und dritten WG gab es sogar eine Gaszentralheizung statt der Kachelöfen, um die wir sanft aber nicht ehrlich weinten. Der Braunkohlengeruch über Berlin war bald nicht mehr so beißend. Es war imponierend zu beobachten, wie innerhalb von zwei Jahrzehnten ein Gasnetz mit tausenden von Kilometern Länge in der Republik entstand. Bis in das letzte Baugebiet mit Einfamilienhäusern erstreckten sich weit verzweigte Leitungen. Millionen von Verträgen für Gas-Hausanschlüsse konnten geschlossen werden, begleitet von ergiebigen Förderungen und kostengünstigen Heiz-Tarifen.
Nach der Ölkrise 1973 ging es plötzlich um Energieeinsparung. Mein Architekturstudium wurde plötzlich um das Thema Energieeffizienz und alternative Versorgungslösungen bereichert, weniger durch unsere Professoren als durch alternative Inhalte bei unseren zahlreichen studentischen Streiks. Beim Berufseinstieg Anfang der 1980er Jahre ging es darum, diese Ideen in die Realität umzusetzen. Erste Projekte gab es mit sympathischen Kollegen aus der Gasbranche, BHKW-Technik hatte damals geradezu etwas Rebellisches. Mit den Stadtwerken in Berlin und später in Nürnberg habe ich mir dadurch für mehrere Jahre ein gutes Miteinander verbaut. Als wir kurz danach aber die Gasbrennwerttechnik bei unseren Bauvorhaben gegen den erbitterten Widerstand der Abwasserbranche durchsetzten, war alles wieder gut und die prognostizierten Schwermetallhalden in den Abwasserkanälen konnten auch nicht festgestellt werden.
Die Gemeinsamkeiten mit der Gasbranche blieben auch bei den ersten Pilotvorhaben zur hocheffizienten Gebäudesanierung erhalten. Als Pilotvorhaben galt das Dreiliterhaus in Ludwigshafen kurz nach der Jahrtausendwende, bei dem Passivhaus-Technik konsequent Anwendung fand. Selbst Gerd Schröder war begeistert und wollte das Beispiel in der Breite sehen. Genau solch ein Projekt führte ich gerade mit Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) durch. Zwar noch in den Kinderschuhen und lange noch nicht in der Breite. Mein erstes Dreiliterhaus mit der WBG Nürnberg kostete nur ein Viertel des Piloten und stand als Blaupause für die erfolgreiche Technik. Die Deutsche Energieagentur (dena) übernahm und startete das immens erfolgreiche Vorhaben „Niedrigenergiehaus im Bestand“, aus der sich in nur vier Jahren und drei Projektphasen die extrem effiziente Breitenförderung entwickelte, die heute unter dem KfW-Label Effizienzhaus 55 des BEG läuft. Die Projektphasen durfte ich kontinuierlich begleiten und es verwunderte mich, dass der Dreiliterhaus-Gedanke von Akteuren, die der Gaswirtschaft nahestanden, in jeder Phase deutlicher infrage gestellt wurde. „Etwas weniger Effizienz tut´s doch auch“. Aber die dena blieb auf Kurs und verhalf mit diesem Projekt der effizienten Gebäudesanierung zum Durchbruch.
Basierend auf diesen Erfolgen entwarfen die Meseberger Beschlüsse der Bundesregierung 2007 ein mutiges Effizienz-Szenario sowohl für die Gebäudesanierung als auch für den Neubau, der ab 2014 etwa den Passivhaus-Standard aufweisen sollte. Ich war elektrisiert in zweifacher Hinsicht – begeistert und zugleich hoch angespannt. Jetzt mussten wir liefern! Nicht mehr nur Modellvorhaben und visionäre Vorträge, sondern Umsetzung in der Breite. Welch Herausforderung! Eine ähnliche Stimmungslage stellte ich bei meinen Freunden in der Gaswirtschaft fest. Aber zunehmend erkennbar mit einem entgegengesetzten Vorzeichen. Die Kontakte verebbten.
Die geniale Marketingphase gegen jede Art von Energieeffizienz begann mit einem Paukenschlag. „Die Burka fürs Haus“ titele die FAZ am 16.11.2010. „Wohnen, Dämmen, Lügen: Am deutschen Dämmstoffwesen soll das Weltklima genesen. Was der neue Fassadenstreit über unser Land verrät und warum Vollwärmeschutz das Gegenteil von Fortschritt ist.“ Ein journalistisch genial formulierter Artikel. Dumm nur, dass fast zeitgleich weitere Artikel mit gleichem Tenor in weiteren großen deutschen Zeitungen veröffentlicht wurden. Allesamt ausgerechnet auf den Feuilleton-Seiten. Zufall? Wohl eher ein mittelkleiner Marketing-GAU. Der aber kaum als solcher wahrgenommen wurde. Stattdessen ging es fast ein Jahrzehnt im Sechswochenrhythmus weiter. Spechtlöcher im Wärmedämmverbundsystem, Fungizide gegen Algenbewuchs auf dem WDVS, immer wieder Dämmung versus Baukultur und sogar die soziale Karte wurde in zahlreichen Facetten gezogen.
Die Politik war beeindruckt! So stark beeindruckt, dass von den Meseberger Beschlüssen wenig übrigblieb. Dem Dämmwahn zu trotzen schien politisch opportun. Nicht von ungefähr brachen parallel dazu ab ca. 2012 die Steigerungszahlen bei Photovoltaik und Windkraft ein. Der Zubau bei den Erneuerbaren, der uns heute Vieles einfacher machen würde, verebbte. Cui bono? Wem nützte es?
Es war die Zeit, in der wir uns die Augen rieben. Deutsche Gas-Infrastruktur inkl. Gasspeichern wurde an russische Unternehmen verkauft kurz vor den Zeiten, als die Krim vereinnahmt wurde. Der Weiterbau von North Stream 2 fand Unterstützer und auch Unterstützerinnen in allen Polit-Segmenten. Das Gas sprudelte im Gegenzug so günstig wie nie. Die Wirtschaft brummte, politische Entscheidungsprozesse wurden auf Sicht gefahren, Klimaschutz zog sich wieder auf die Sonntagsreden zurück. Die vielen wissenschaftlichen Gutachten, die unsere jetzige Situation vorausprojizierten, waren nicht von Interesse: nur nichts mit der Brechstange – im Zentrum stand die Maxime „Bloß nichts fordern, sondern fördern“. Also wurden im Gebäudesektor marktgängige Standards, die alles andere als klimaneutral waren, hoch gefördert. Das Effizienzhaus 55 nach BEG war aus meiner Sicht ein Fall für den Bundesrechnungshof! Die Reißleine wurde ausgerechnet wenige Wochen vor Übernahme durch die Ampelkoalition im November 2021 gezogen: das Aus für die BEG-Förderung Ende Januar 2022. Die Branche reagierte schnell. Förderanträge für 15 Mrd. Euro innerhalb weniger Wochen, sodass die KfW bereits am 24. Januar die BEG-Förderung stoppen musste. Das daraus resultierende Desaster landete ebenso beim neuen Wirtschaftsminister wie der nächste Schock durch den Ukraine-Krieg wenige Wochen später. Und im Frühjahr 2022 wurde uns auf sehr schmerzhafte Weise bewusst, in welche Abhängigkeiten die Gasbranche uns gemeinsam mit willfährigen Polit-Akteuren gebracht hatte.
Warum diese umfangreiche Beschreibung, wenn das Titel-Thema „H2-ready“ lautet? Die Antwort ist einfach und zugleich höchst komplex: derzeit tobt wieder eine Marketing-Schlacht um die Ausdeutung des richtigen Weges für die Energiewende. Ausgelöst durch die aktuelle GEG-Novelle, auch als „Heizungs-Gesetz“ verkürzt, kämpft eine über fünf Jahrzehnte sehr erfolgreiche Branche darum, ihr fossiles Gas noch möglichst lange weiter verkaufen zu können. Weil angeblich danach der ausgesprochen einfache Übergang in die Wasserstoffwirtschaft kommt. Trojaner via H2-ready! Alle fachlich versierten Energieexperten, die ich in den letzten Wochen auf die Nutzung von Wasserstoff für unsere Heizungen angesprochen habe, waren vorrangig belustigt, dass solch eine absurde Idee ernsthaft diskutiert wird. Diametral anders stellt sich die Einschätzung in zahlreichen Medien dar: kostengünstige Lösungen mit Wasserstoff! Nicht sofort, aber bald wird es die Gaswirtschaft richten! Woran liegt es, dass solch technisch-physikalische Fehleinschätzungen mehrheitlich in den Medien – und merkwürdigerweise auch von ansonsten intelligenten Politikern – als Lösung vorgeschlagen werden? Lobby Control e. V. widmet besonders erfolgreichen Interessenvertretern eigene Studien. „Pipelines in die Politik – Die Macht der Gas Lobby in Deutschland“ erschien im Februar 2023. Aus meiner Sicht stehen darin viele Antworten.
Die Argumente gegen das Heizen mit Wasserstoff, gegen die H2-ready-Strategie sind sehr einfach: die Energiewende wird vorrangig getragen durch Wind- und Sonnenkraft. Technisch können wir beliebig viele Windparks und Solarfarmen bauen, kulturell gibt es aber berechtigte Grenzen. Die Flächenverfügbarkeit in unserem Land ist begrenzt. Also gilt es, aus jeder erneuerbaren Kilowattstunde möglichst viele Kilowattstunden Wärme bereitzustellen, eine möglichst hohe Effizienz zu erzielen. Mit Wärmepumpentechnik entstehen aus einer Kilowattstunde (kWh) Strom drei bis fünf kWh Wärme. Bei der Wasserstoffproduktion dagegen werden aus jeder kWh erneuerbaren Stroms mittels Elektrolyse nur ca. 0,6 kWh Wasserstoff generiert, dazu gibt es relevante Verluste für den Transport und ggf. für Umwandlungen sowie schließlich Anlagenverluste der Gasheizungen. Übrig bleiben in eher günstigen Fällen etwa 0,4 kWh Wärme. Der Vorteil liegt in der zeitlich beliebigen Verfügbarkeit, sodass im Vergleich nicht der Faktor 10 zwischen den beiden Varianten liegt, sondern – je nach Rechenweg und Annahmen zur Bewältigung der winterlichen dunklen Flaute Faktoren zwischen 7 und 3,5. Für die wasserstoffbasierte H2-ready-Variante benötigen wir also im Mittel die fünffache Menge an Windrädern oder Solarparks. Die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung stellt sich für den Wasserstoff ebenfalls deutlich ungünstiger dar, was dazu führen wird, dass sich kurz- bis mittelfristig die Wärmepumpentechnik als die ökonomisch deutlich sinnvollere in der Breite durchsetzen wird. Dabei ist zu beachten, dass Wärmepumpen, z. B. für ein Einfamilienhaus, vor einigen Jahren 10.000 bis 16.000 € kosteten, derzeit gerne 25.000 – 50.000 €. Angebote auf Alibaba.com liegen für hochwertige fernöstliche Modelle unter 2.500 Dollar. Es gibt mithin ein deutliches Kostensenkungspotenzial, das die deutsche Heizungsindustrie derzeit verschläft – oder absichtlich nicht hebt. Aber das ist der Inhalt einer anderen Veröffentlichung!
Sicher ist aber, dass im Jahr 2030, spätestens 2035 der Offenbarungseid ansteht. Zusagen für H2-ready-Lieferungen werden nicht einzuhalten sein. Die zwei oder vielleicht fünf Millionen Haushalte, die aufgrund der aktuellen Zusagen auf Gas vertrauen, können nicht einmal ansatzweise zu den Kosten beliefert werden, die möglicherweise jetzt zugesagt werden. Die Umstellung der Netze in der Fläche ist unbezahlbar. Wenn zudem die Abnahmedichte in tausenden von Wohngebieten einbricht – und sie wird sicher einbrechen – sind die Netzvorhaltungskosten exorbitant. Dies wird auch dann der Fall sein, wenn aktuell hohe Fördersummen in diese Fehlentwicklung investiert werden. Spätestens im Jahr 2035 kommt der Schrei nach einem erneuten Doppel Wumms für die Kunden, die dem H2-ready Narrativ geglaubt haben. Den werden die Gas-Versorger in wahrscheinlich wieder sehr erfolgreicher Form für ihre Kunden fordern, die sie nicht bedienen können.
Die gute Nachricht für die Gasbranche lautet: wir brauchen euch! Ich kenne so viele phantastische Akteure in dem Segment, die entsetzt sind über das kurzfristige Renditedenken in ihren Chefetagen. Akteure, die verstanden haben, dass die Sektoren Mobilität, Gebäude und Industrie in einem erneuerbaren System selbstverständlich vorrangig elektrisch versorgt werden, weil dort eine viel höhere Effizienz erreichbar ist. Dennoch benötigen wir Grüne Gase für zahlreiche Sektoren wie den Schwerlast-, Flug- und Schiffsverkehr, einen Teil der Hochtemperatursektoren in der Industrie – und für die Residuallast, also für die Zeiten, in denen die Erneuerbaren nicht ausreichend bereitstehen. Es werden vorrangig GuD-Kraftwerke sein, die z. B. für die Zeiten der dunklen Flaute die Versorgung sicherstellen. Für diese genannten Bereiche sind erneuerbare Brennstoffe erforderlich, gleich ob als Wasserstoff direkt, die methanisierte Form oder als Ammoniak. Einen hohen Anteil davon müssen wir importieren, weil wir in Deutschland bei Weitem nicht die Fläche haben, die ineffiziente Wasserstoffkette ohne eine unendliche Verspargelung unserer Landschaft zu bewältigen. Also ist ein Import verteilt auf viele Regionen dieser Welt möglich. Die Chance besteht darin, das bei uns vorhandene Know-how dort einzubringen, Verträge auf Augenhöhe zu schließen, die auch in den Erzeugerländern die Energiewende voranbringen. Aber zugleich besteht die Gefahr eines neuen Energie-Kolonialismus. Auf keinen Fall darf unser Energiehunger dazu führen, dass in diesen Ländern notwendige Ressourcen blockiert oder abgezogen werden, die für die dortige Entwicklung notwendig sind.
Last, but not least: Volkswirtschaften, die es schaffen für ihre zukünftige erneuerbare Versorgung mit einem möglichst kleinen Anteil an kosten- und ressourcenträchtigen Grünen Gasen auszukommen, werden Gewinner der Energiewende sein. Die gute Nachricht für uns: direkte Nutzung erneuerbarer Energien, vorrangig von Wind- und Solarenergie, erfordert jetzt zwar Investitionen, ist in der Folge aber die mit Abstand wirtschaftlichste Versorgungsoption und stellt eine langfristig sichere Energiequelle dar – ohne Abhängigkeiten von globalpolitischen Verwerfungen.