5 Jahre nach Paris – wo steht der Bezirk beim Klimaschutz

BVV SZ bereitet umfassenden Beschluss zum Klimaschutz vor. (Dr 1542/V)

Vor 5 Jahren saßen 50 Mitglieder des AK-Energie im Wrangelschlößchen und lauschten den Ausführung des Vorsitzenden von Germanwatch, Klaus Milke, der auf seinem Weg nach Paris Station machte. Am 16.1.16 berichteten Prof. Rolf Kreibich und Ralf Fücks als aktive Teilnehmer der Klimakonferenz vor vollem Haus von den Ergebnissen.

Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf war zu der Zeit die erste Gemeinde in Europa, die alle öffentlichen Gebäude mit Energieausweisen ausgestattet hatte. Er hatte ein gut etabliertes Energiemanagement für die bezirklichen Einrichtungen, Verträge mit Energiesparpartnern, die fast alle Liegenschaften versorgen und ca. 30% Energie pro Jahr gegenüber 1994 einsparen und einen Strauß von Beschlüssen, die u.a. vorsahen, dass alle öffentlichen Gebäude wo technisch möglich mit Solaranlagen ausgerüstet werden. Mehr zu Energieausweisen

Schon 1992 hatten sich in Steglitz und Zehlendorf Agenda 21 – Gruppen gebildet, die daran gingen, die  Beschlüsse der Rio-Konferenz umzusetzen. Seit 25 Jahren befasst sich eine AG Mobilität mit der Erarbeitung von Vorschlägen für nachhaltige Mobilität und im FahrRat sitzen seit einigen Jahren Verbände und Parteien zusammen und beraten das Bezirksamt.

2008 hatte sich der Bezirk Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die jede Abteilung einbindet. Für die bezirklichen Gebäude war vereinbart, dass 2030 70% weniger Energie genutzt werden soll als zum Basisjahr 1994. Aktuell sind wir bei 40% und haben dazu noch 10 Jahre Zeit! (Mehr zu den Zielen)

Fünf Zukunftskongresse, die das Bezirksamt mit der ev. Kirche durchführte, erbrachten Dutzende von guten Vorschlägen, jeweils mit Verantwortlichkeiten unterlegt. Die FU hat eines der besten Klimaschutzmanagement aller deutschen Universitäten und Krankenhäuser im Bezirk waren vorbildlich im Projekt klimafreundliches Krankenhaus des BUND dabei.

Es gibt eine Reihe sehr beachtlicher Sanierungsvorhaben. Zu allererst sei hier die Märkische Scholle in Lichterfelde Süd genannt, ebenso die Hilfswerksiedlung. Der AK-Energie hat ca. 100 Projekte aus dem Bezirk in den letzten 15 Jahren besucht, vorgestellt, um zum Nachahmen anzuregen.

Die Instrumente liegen also bereit und sind geschärft, die Daten liegen vor, die Ziele sind formuliert, die Machbarkeit erprobt. Was zunehmend fehlt sind die Menschen, die sie umsetzen und leider oft auch der politische Wille zum gemeinsamen Handeln. Ich mache das am Quartierskonzept fest, ein zentrales Instrument der Bundesregierung. Seit 6 Jahren liegt ein fertiger Antrag für ein solches Konzept für den Bereich rund um den U-Bahnhof Onkel-Toms-Hütte für das Förderprogramm „Energetische Stadtsanierung“ vor. Das Geld liegt bereit. Ein sehr aktiver Verein hat sich dieses Themas angenommen, aber der Bezirk schafft es nicht, einen Antrag auf die Post zu bringen. Im Klimaschutzkonzept des Bezirks ist diese Maßnahme als PH1a zumindest schon einmal hinterlegt.

Die überwiegende Anzahl der Neubauten im Bezirk entsprechen nicht den Anforderungen an zukünftiges Wohnen, Gründächer, Null-Energie-Standard, Regenwassernutzung, Wärmerückgewinnung sind oft Fehlanzeige. Selbst in neu errichteten Seniorenheimen gibt es keine Lüftungsanlage. Eine aktive Beratung von Bauherren in Hinblick auf klimafreundliches Bauen findet nicht statt, ebenso wenig wie die Kontrolle der Energieausweise. Ab 31. Dezember 2020 sollen alle neuen Gebäude Niedrigstenergiegebäude sein. Das hatte die EU 2010 (!) beschlossen!

Aber das soll jetzt alles anders werden!

Das Umweltamt hat sich aktiv dafür eingesetzt, dass die Baukultur bei der Sanierung nicht zu kurz kommt und z.B. den Erhalt der Berliner Kastenfenster in das KSK aufgenommen. Erreicht wurde, dass der Austausch im Bereich der öff. Hand berlinweit verboten wurde und dass jetzt beim Senat ein Förderprogramm vorbereitet wird.

2013 hatte sich der Bezirk ein ehrgeiziges Ziel beim globalen Lernen gesetzt. Aber es gelang nicht, die Arbeit in der Verwaltung dauerhaft zu verankern, obwohl es dafür eine 90%-Förderung gibt. Das Projekt soll jetzt auf Beschluss der BVV wieder belebt werden.

Ein Lichtblick ist die Planung in Lichterfelde Süd. Hier soll eine – hoffentlich – klimaneutrale Stadt direkt neben einem neuen Naturschutzgebiet entstehen. Seit 7 Jahren läuft die Planung, demnächst erfolgt die öffentliche Auslegung. Baubeginn 2022 (?) Fertigstellung 2025 (?) (Stellungnahme zum B-Plan)

Diese Planungszeiträume machen deutlich, welche Vorlaufzeit erforderlich ist, um gute Dinge auf den Weg zu bringen. Wenn Berlin bis 2050 klimaneutral sein will, muss jetzt alles, was neu geplant wird, dieses Ziel verinnerlichen. Nur zur Erinnerung: 1992 beschloss die BVV auf Antrag der SPD, Ladestationen auf dem Rathausparkplatz zu errichten. Ich habe sie neulich vergeblich gesucht.

Seit 1,5 Jahren berät die BVV über einen umfassenden Klimaantrag, (1542/V) der von einer großen Mehrheit getragen wird und in den nächsten Tagen verabschiedet werden kann. Er ist, wenn alles umgesetzt wird, die richtige Antwort auf Paris. Überschlägig habe ich 10 neue Stellen für sehr engagierte und mutige MitarbeiterInnen in dem Antrag identifiziert. Leute, bewerbt euch.

Was mir im Antrag fehlt, ist die Baukultur, die in Berlin insgesamt zu kurz kommt. Es gibt weder auf Senats- noch auf Bezirksebene eine echte Zuständigkeit. Die Stadt der Zukunft soll aber nicht nur energieneutral und resilient sondern auch urban, zum Verweilen einladend sein. Die Siedlungen der 20 er Jahre kommen diesem Anspruch deutlich näher als das, was in den letzten 30 Jahren im Bezirk gebaut wurde. Ich denke da nur an die „Vogelschiss-Architektur“  – ein Ausdruck des Koppenhagener Stadtplaners Gehl -, der Discounter, der „Abschussrampe“ auf Schwanenwerder, oder im Oskar-Helene-Heim. Farben können raumbildend wirken, habe ich von Bruno Taut gelernt, oder abstoßend. Schauen Sie mal im Gesundheitspark OHH vorbei und bilden sich selbst ein Urteil.

Das Kulturamt hat eine wunderbare Ausstellung zu den Siedlungen der 20 er kuratiert, die wegen Corona kaum gezeigt werden konnte. Es wäre schön, entlang der Exponate einen Diskurs über die Stadt der Zukunft zu führen. Der Ak-Energie hat dazu schon einige Seminare durchgeführt, seine Partner, wie der Bund Architektur und Umwelt e.V., steuern gern ihre Erfahrungen bei.[1]

Ich hoffe, dass es gelingt, beim Klimaschutz an der Sache und auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entscheiden, wie wir es in der Pandemie gerade lernen. Die Zukunftskongresse waren dafür eine nützliche Agora. Im Antrag an die BVV wird ein jährlicher Kongress gefordert.

In Berlin wird über eine  „IBA von unten“ beraten und die EU plant ein „Neue Europäisches Bauhaus“, das an 5 Standorten gegründet werden soll. Ich bin gespannt auf die Beiträge aus SZ für diese Internationale Bauausstellung 2030. Gute ArchitektInnen haben wir reichlich im Bezirk. Auch den politischen Willen ?

Ich kann nur alle BürgerInnen (und diese wunderbare Zeitung) bitten, die Beschließung und Umsetzung des Antrags zeitnah und mit langem Atem zu begleiten. Am 31.3.2022 soll der erste Umsetzungsbericht vorliegen. Eine große Mehrheit der BVV hat damit den Weg frei gemacht, die guten Anlagen, die der Bezirk hat, zu entfalten und entlang von Sachfragen und nicht Parteilinien zu debattieren. Wo sonst wenn nicht in SZ soll das gelingen?

Warnen muss ich allerdings davor, zu umfangreiche Berichtspflichten einzufordern. Das lähmt die Verwaltung. Sie soll sagen, wann sie etwas nicht umsetzt und warum. Eine überschaubare Prüfliste, die auf der Seite der BVV (und im Tagesspiegel) veröffentlicht und regelmäßig weitergeschrieben wird, wäre da hilfreich. Digitalisierung konstruktiv nutzen.

Die BVV hatte sich im November bei den MitarbeiterInnen für die gute Zuarbeit bedankt. Dem kann man sich nur anschließen. Der Beschluss scheint mir eine gute Grundlage für eine Zählgemeinschaftsvereinbarung nach der nächsten Wahl zu sein. Übrigens, seit dem 1. Januar soll ein Sanierungsfahrplan für die öffentlichen Gebäude im Bezirk vorliegen. Ich bin gespannt.

Auf den Tag genau vor 30 Jahren wurden in Berlin Umweltämter in den Bezirken eingerichtet und so Klimaschutz implementiert. Noch 30 Jahre, und Berlin will / muss klimaneutral sein. Jede/r mag daran ermessen, dass das Tempo etwas anziehen muss. Darüber wäre ein breiterer Diskurs im Bezirk wünschenswert.

Peter Schrage-Aden

Klimaschutzbeauftragter bis 2014

Eh. Vorsitzender des Aktionskreis Energie


[1]„ B.A.U.weisen, weise bauen“ Festschrift 40 Jahre Bund für Architektur und Umwelt e.V. von Ute Scheub. Oekom Verlag, Erscheinung 14.1.2021