Die Atomenergie soll wieder salonfähig gemacht werden?

Peter Schrage-Aden am 13.11.2021

Vor 10 Jahren wurde in Deutschland nach dem schrecklichen Unglück in Fukushima der Ausstieg aus der Atomtechnik geschlossen. Ich hatte seinerzeit dazu einen Artikel geschrieben und vorgerechnet, mit welchen Maßnahmen der Bezirk in den nächsten 10 Jahren seinen Beitrag zum Ausstieg leisten könnte.

Die Klimakonferenz in Glasgow und ein Neustart der Regierung im Bezirk und im Land könnte Anlass sein zu überprüfen, ob das möglich wäre. Mich beschleicht das Gefühl, dass viele der machbaren und wirtschaftlich sinnvollen Vorschläge nicht umgesetzt wurden und diese Untätigkeit jetzt dafür herhalten soll, dass wir vielleicht doch die Atomenergie benötigen, um die Klimaziele zu erreichen.

Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat sich in diesem Jahr in einem umfassenden Klimaschutzbeschluss ambitionierte Ziele gesteckt. Im April 2022 soll, so der Beschluss, über die Umsetzung erstmalig berichtet werden.

Ich kann nur alle BürgerInnen (und diese wunderbare Zeitung) bitten, die Umsetzung des Antrags zeitnah und mit langem Atem zu begleiten. Mit diesem Beitrag möchte ich dazu anregen und will auch ein kleines Beispiel beisteuern. Vor 20 Jahren wurde das Dach des Rathauses neu gedeckt. Aber nicht gleichzeitig gedämmt, wie es das Gesetz vorschreibt. 2000 m² ungedämmtes Dach bedeuten ca. 40.000 m³ Erdgas von 360.000 m³ insgesamt vergeudet. Über die vergangenen 20 Jahre ein Verlust von einer halben Mill. €. Eine der vielen verpassten Chancen.

Aber damit ist ja jetzt Schluss! Auf einen Neustart, auch im Bezirk.

Peter Schrage-Aden am 10.08.2011 vor 10 Jahren!

Einstieg in den Atomausstieg, regional im Bezirk

Der Ausstieg aus der Atomenergie ist Konsens. In spätestens 10 Jahren muss die Lücke durch Einsparungen, regenerative Energieträger und Erdgas geschlossen werden. Daran sollte sich auch unser Bezirk entsprechend seines Anteils an der Bevölkerung beteiligen. 140 Mrd. kWh hat die Atomindustrie 2010 produziert. Auf unseren Bezirk entfallen davon rein rechnerisch 500.000 MWh von insgesamt 1.700.000 MWh Strom. Das entspricht einer Leistung von 70 MW, die nicht nur durch mehr Windanlagen an der Nordsee ersetzt werden muss, sondern möglichst regional vor Ort. Geht das auch hier im Bezirk. Können wir uns selbst ein Stück unabhängiger machen von den großen Stromkonzernen und den großen Netzen, die angeblich erforderlich sind?

246 Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 1.400 kWp sind im Bezirk am Verteilungsnetz angeschlossen, die ca. 1.000 MWh Strom beisteuern.

Um 10 % des heutigen Atomstroms durch Solaranlagen abzudecken, müsste jedes Jahr ca. 7.000 m² zusätzliche Solarfläche auf unseren Dächern. (10 m² Solaranlage liefert ca. 800 kWh Strom im Jahr) Das entspricht der Dachfläche von 10 Sporthallen oder Discountern jährlich mit PV-Anlagen.  Das müsste zu leisten sein, ist aber sehr sportlich?  

Auch der in kleinen Kraft-Wärme Anlagen, sogenannten BHKWs, erzeugte Strom ließe sich leicht steigern. Zurzeit ist der Beitrag des Bezirks auch hier eher dürftig. Laut Vattenfall sind 2010 gerade mal 48 BHKW mit einer Gesamtleistung von 604 kW am Netz, die 3.000 MWh Strom liefern. Das sind 0,6% des Atomstroms.

Mehr BHKW könnten in stromintensiven Gewerken eingesetzt werden, die auch gleichzeitig Wärme benötigen. Im Bezirk gibt es 900 Stromabnehmer, die jeweils mehr als 100 MWh benötigen und zusammen fast 900.000 MWh beziehen.  Das sind die Firmen an der Goerzallee, die Bundesanstalten unter den Eichen und die großen Krankenhäuser. Aber auch die Einkaufszentren brauchen fast ausschließlich Strom für die Beleuchtung und ihre Kühlung. Allein in die Schloßstraße gehen über 200.000 MWh Strom. Wenn ein Wärmeabnehmer in der Nähe ist, z.B. ein Schwimmbad in einem Einkaufszentrum, kann ein BHKW sehr wirtschaftlich betrieben werden. Nehmen wir einmal an, dass 20% dieses Stroms über KWK gewonnen wird, wäre das ein Beitrag von 180.000 MWh oder 36% des Ausstiegs.

Eine stille Reserve sind die vielen Notstromversorgungseinrichtungen im Bezirk. In Kaufhäusern, Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen stehen Generatoren mit einer Leistung von über 30.000 kW. Das ist schon ein richtig großes Kraftwerk. Wenn es möglich wäre, auch nur 20% diese Kapazität in Form eines Virtuellen Kraftwerks zusammenzuschließen, wäre das ein nennenswerter Beitrag. Ein Virtuelles Kraftwerk lohnt sich dann, wenn es 3-4 Stunden am Tag, dann wenn es Stromspitzen gibt läuft. Könnte man diese Aggregate so einsetzen, würden sie die Strommenge von 10.000 MWh liefern. Die heutigen Notstromgeneratoren sind dafür selten geeignet. Würde man sie aber (teilweise) durch erdgasbetriebene BHKW ersetzen, wie es z.B. das Hubertuskrankenhaus vor 12 Jahren vorbildlich gemacht hat, dann ist ein sogenannter Netzparallelbetrieb möglich, der sowohl der Notstromversorgung dient wie der Netzeinspeisung. Technisch ist das lösbar, dafür gibt es viele Beispiele in der Stadt.

Aber vor der Herstellung von Strom kommt die Vermeidung. Ein durchschnittlicher 4-Personen-Haushalt verbraucht 2.400 kWh im Jahr. Durch eine gute Stromsparkampagne ließen sich leicht 10% einsparen. Das wären allein schon 60.000 MWh jährlich bei den Haushalten gespart. Wenn das Gewerbe mitmacht, und nur 10% einspart, kommen da noch einmal 100.000 MWh zusammen.

Aber wir haben im Bezirk auch noch andere Potentiale. Am Stichkanal wird eine Biogasanlage geplant mit einer elektrischen Leistung von 400 kW. Sie soll 3.200 MWh Strom liefern, genug für 1.500 Haushalte. Nehmen wir mal an, die Anlage wird nur aus organischen Abfällen aus dem Bezirk gespeist, dann wäre das ein Beitrag zum Ausstieg, der dem Bezirk zu 100% angerechnet werden kann.

Nehmen wir weiter an, dass das Abfallholz, dass im Bezirk anfällt, nicht nur zum Heizen genutzt wird, wie jetzt im Heizwerk Lissabonallee, sondern eine Turbine treibt, in der Strom und Wärme erzeugt wird. Dann könnten an diesem Standort leicht 4.000 MWh „grüner“ Strom produziert werden.

Der größte Stromverbraucher im Bezirk ist das HMI in Wannsee. Dort werden gewaltige Magnete gespeist, die viel Strom und Kälte brauchen, die auch mit Strom hergestellt wird.

Kälte ist so ein ganz besonderes Kapitel. Im Bezirk stehen Kälteanlagen mit insgesamt über 300 MW Leistung. In Lebensmittelläden, Krankenhäusern und Hörsälen. Mit steigender Tendenz wegen der heißen Sommer. Wenn es gelingen könnte, durch das Aufschalten dieser Kälteanlagen auf eine zentrale Steuerung die Kälte nicht in den Spitzenzeiten zu erzeugen, dann könnten so noch einmal 100 MW an Leistung eingespart werden. Eine Kälteanlage, die für 30 Minuten abgeschaltet wird, führt zu keinen ernsten Problemen und dort, wo unbedingt immer Kälte benötigt wird, gibt es Vorrangschaltungen.

Wir sehen, da kommt einiges zusammen, wenn wir am gleichen Strang ziehen. Wenn Sie die aufgeführten Beispiele zusammenzählen, kann der Bezirk seinen Beitrag zum Ausstieg in 10 Jahren leisten. Vielleicht auch schneller.

Der Ausstieg aus der Atomenergie erfolgt im Konsens aller Parteien. Eine gute Gelegenheit, im Konsens den Einstieg in eine andere Energiekultur im Bezirk zu schaffen.

Meint

Peter Schrage-Aden

Der Autor war bis 2014 Klimaschutzbeauftragter im Umweltamt Steglitz-Zehlendorf

Glossar:

Elektrische Arbeit wird in kWh gerechnet. 1 Megawattstunde (MWh) sind 1000 kWh.

Elektrische Leistung wird in kW gemessen, 1 Megawatt (MW) sind 1000 kW

Mehr Informationen zum Energiesparen unter www.AK-Energie.de